Offensichtlich erleben wir gerade eine Zeit der ‚Welt-
architektur‘. Bauten sind austauschbar geworden, sie
können in Amerika, Asien, Afrika und in fast jedem westlichen Land stehen und sehen fast immer gleich aus: parametrisch, Skyscraper oder rechteckige Boxen zur Nutzflächen- und Raummaximierung.

Auswirkungen des Funktionalismus
Wieso gestaltet sich die weltweit agierende Architekturproduktion derart? Wahrscheinlich sind es die Wirkungen des Funktionalismus, auf jeden Fall aber die Folgen eines mittlerweile zur Absurdität gesteigerten Glaubens an die Maxime der Vermehrung: Effizienz, Größe, Qualität, Quantität, Gewinn – alles soll wachsen, gesteigert werden. All diese Produkte einer vermehrten, gesteigerten Produktion bedingen aber ein Kapital, aus welchem sich das ‚Mehr‘ generiert. Und die – seit vielen Jahrzehnten – größte Täuschung der westlichen Welt ist, dass sie vermeint, das Problem der Produktion gelöst zu haben. Dieser Täuschung geben wir uns hemmungslos hin, ständig beruhigt durch technische, wissenschaftliche Errungenschaften -und sind dabei unfähig, zwischen Kapital und Ertrag zu differenzieren.

Das lässt sich ganz leicht an unserer Einstellung zu den fossilen Brennstoffen ablesen, wir sehen sie als Ertragsmöglichkeit, obwohl sie ganz sicher ein Kapitalposten sind. Ebenso der Sand, der weltweit zur Architekturproduktion (Betonherstellung) benötigt wird. Er ist mittlerweile genau so rar wie sauberes Wasser und wird – mit unabsehbaren Folgen für Ökologie und Umwelt – vielerorts bereits illegal abgebaut und eine Sandmafia verdient Millionen daran.
Folgen des Kolonialismus
Betrachten wir einmal die wundervollen Architekturen der Dogon in Mali, Afrika. Es sind Musterbeispiele einer nachhaltigen, ökologischen Haltung – Lehm, oft Fliesen, Steine, Holz und Stroh – also könnte man daraus strukturelle Erkenntnisse ziehen. In diesen Bauten ist keine Spur von Funktionalismus, Stahlbeton, Glas, technoider Übersteigerung zu finden. Oft runde Formen, ganz im Sinne Friedensreich Hundertwassers, der immer schon die Diktatur des rechten Winkels anprangerte, trotzdem stimmungsvoll, atmosphärisch angereicherte Räume in manchmal bis zu 10 Meter hohen, mehrgeschossigen Architekturen. Heute wird dieses Kapital einer lokalen Kultur auf einen musealen Status oder eine Tourismusattraktion reduziert.

Oder die anonymen Dörfer und Siedlungen der ägäischen Inseln – wo keramische Fliesen übrigens eine Jahrtausende alte Tradition haben! Wie kann es sein, dass auf Santorin, einer Insel ohne eine einzige nennenswerte Wasserquelle, wo jeder Tropfen in der Regenzeit gesammelt oder von Tankschiffen geliefert werden muss, Architekten in den Höhlen der Kaldera Luxusappartements für Touristen mit Süßwasserschwimmbecken einbauen? Tolle Bilder für Hochglanzmagazine, aber pervers!
Westlicher Architekturexport als Entwicklungshilfe
Der Westen hat diese Unkultur des kolonialisierenden Denkens nach Afrika und Asien gebracht. Missionare der verschiedensten Religionen errichteten ihre Bauten, Schulen, Kirchen mit dem aus Europa importierten Zweckdenken des Rechtecks und der Finanzierbarkeit, deckten mit Wellblech und ließen die Menschen glauben, dass alles, was aus den ‚industrialisierten‘, reichen Ländern an Architekturexport käme, gut, ja besser sein müsse. Betrachten wir einmal ein einfaches Dorf in Zentralafrika: Runde Hütten aus Lehm, Strohdächer, die aber auch während der Regenzeit genügend Schutz bieten, keine Klimageräte und doch lebenswerte Innenräume. Die Bewohner sind zufrieden mit dem was ist, was sie haben. Dann kommt der weiße Mann und sagt: Ihr könnt es doch besser haben, Blech am Dach ist wartungsfrei, mit Zementsteinen könnt ihr schneller bauen, wir – das heißt, die Bauindustrie liefert euch das. Verdienen daran wird nur der Westen, denn bis jetzt waren Lehm und Stroh vor Ort und gratis. Und das läuft oft unter dem Begriff der Entwicklungshilfe…

Geld ist mächtiger als Angst
Jeder weiß, dass die Bauindustrie an 40% des weltweiten CO2 Ausstoßes beteiligt ist, und zwar wesentlich. Dämmstoffe, Styropor, Plastik sind Problemstoffe in der Entsorgung, Zement einer der größten CO2 Erzeuger (8% der weltweiten Emissionen) in der Produktion. Wir wissen heute noch nicht genau, was diese Materialien mit unserer Umwelt jetzt und schon gar nicht, was sie mit der Umwelt in 20-50 Jahren machen. Wir wissen allerdings schon heute über die riesigen Plastikmüllinseln in den Meeren Bescheid: Der größte dieser Müllstrudel ist das Great Pacific Garbage Patch im Nordpazifik, das eine Fläche bedeckt, so groß wie ganz Mitteleuropa. Und dass Fische und andere Lebewesen das Plastik in Kleinst- bis Großmengen fressen und so das Zeug in die menschliche Nahrungskette gelangt. Ein weiteres Beispiel für die Verwechslung von Kapital und Ertrag. Was macht nun die Bauindustrie, um dem Klimawandel, der Zerstörung der Umwelt entgegen zu treten? Viel zu wenig, bzw. gar nichts! Denn das Lobbying und das Geldverdienen wiegen schwerer als die Vernunft, ja sogar als Angst.

Viele Herausforderungen
Es mangelt heute nicht an Alternativen: Von recycelbaren umweltfreundlichen Fliesen bis hin zu Dämmstoffen aus Stroh, Hanf, Schafwolle, etc., alles ausgesprochen nachhaltige, weil nicht das Kapital aufbrauchende Materialien. Das bedeutet aber auch ein Umdenken in der Architekturproduktion und ein Hinwenden zu zertifiziert nachhaltigen Materialien. Wir werden nicht mehr mit Quadratzentimetern an Nutzfläche, die verkaufbar sind, argumentieren können. Wir werden künftig unsere Ansprüche an manche gewohnte Bequemlichkeiten aufgeben müssen. Reduktion ist notwendig um eine Resilienz zu erreichen.
Der Zeit voraus
Als der gerade verstorbene Hans Küng 1990 den damals wie heute provozierenden Begriff des ‚Weltethos‘ ins Spiel brachte, erntete er damit genauso viel Verwirrung wie noch heute. Zu diffus, zu ungenau sagten die einen, zu sehr mit Pathos und Moral beladen die anderen. Doch was ist an Moral und Ethik schlecht? Er bezog den Ausgangspunkt, den Ursprung seiner provokativen Idee damals schon auf die aufkeimenden Verwerfungen der Weltgesellschaft durch Klimakrise, Globalisierung und Umweltzerstörung und mahnte eine ethische Weltpolitik ein, die ein Bewusstsein für eine gemeinschaftliche, globale Verantwortung beinhalten sollte. Allerdings sind große Ideen und Visionen oft viele Jahre der Zeit voraus und es dauert manchmal Generationen, bis sie umgesetzt werden. Ist nicht langsam die Zeit dafür gekommen?
Text: Peter Reischer